Dienstag, 18. Mai 2010

Ewig Ärger mit ewiger Rente in der Unternehmensbewertung


In der Praxis der Unternehmensbewertung hat die Phase der "ewigen Rente" bei dem üblichen Vorgehen ein deutlich höheres Gewicht für den Unternehmenswert als die Detailplanungsphase. Bei Unternehmen mit hohen Anlaufverlusten, wie sie beispielsweise in der Biotechnologie häufig anzutreffen sind, kann der Wert des Unternehmens am Ende des Detailplanungszeitraums sogar höher als der Unternehmenswert sein.

Zur Berechnung des Restwerts (Terminal Value) stehen in der Bewertungstheorie vor allem folgende Wertkonzepte zur Verfügung:

  • Liquidationswert des Unternehmens,
  • Reproduktionswert des Unternehmens,
  • Buchwert des Unternehmens,
  • Multiplikatorverfahren,
  • Zukunftserfolgswertverfahren.

In diesem Beitrag wird ausschließlich auf das in der Bewertungspraxis übliche Zukunftserfolgswertverfahren als einphasiges Modell ohne Wachstum eingegangen. Nach der Formel der nachschüssigen ewigen  Rente wird der Restwert (RW) des zu bewertenden Unternehmens am Ende des Detailplanungszeitraums aus dem Erwartungswert (E) der Zukunftserfolge (ZE) und dem Kalkulationszinsfuß (i) wie folgt ermittelt:




Bei einer vorschüssigen ewigen Rente erhöht sich der Restwert um den einmal zusätzlich sofort anfallenden Zukunftserfolg:



Bei Anwendung der in der Bewertungspraxis üblichen Formel für eine nachschüssige ewige Rente ergibt sich der Restwert des Unternehmens, indem die erwarteten gleichbleibenden jährlichen Zukunftserfolge (ZE) durch den ebenfalls gleichbleibenden Kalkulationszinsfuß i dividiert werden. 


In Teilen der Literatur zur Bewertungstheorie wird die Meinung vertreten, dass die Anwendung der Formel der ewigen Rente ohne Wachstum erhebliche Schwächen hat, weil die Wachstumschancen des Unternehmens nach Ablauf des Detailplanungszeitraums vollkommen unberücksichtigt bleiben (Dieser durchaus berechtigte Einwand wird in einem späteren Beitrag zur Berechnung des Restwerts eines Unternehmens diskutiert).

Neben dem hier dargestellten einphasigen Modell werden in der Literatur auch mehrphasige Modelle diskutiert, in denen Wachstumsraten der Zukunftserfolge im Restwertzeitraum nicht konstant sind, sondern sich im Zeitablauf verändern. Zweiphasige bzw. dreiphasige Modelle sowie Konvergenzmodelle werden innerhalb dieser Gruppe der mehrphasigen Modelle zur Berechnung des Restwerts zusammengefasst.  


Der Unternehmenswert setzt sich aus dem Barwert der in der Detailplanungsphase erwarteten Zukunftserfolge und dem ebenfalls auf den Bewertungsstichtag abgezinsten Restwert des Unternehmens zusammen. Die Detailplanungsphase ist umso kürzer, je größer die Unsicherheit ist. Der IDW Standard 1  (Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen) nennt einen "überschaubaren Zeitraum von drei bis fünf Jahren", für den einem Wirtschaftsprüfer zumeist hinreichend detaillierte Planungsrechnungen zur Verfügung stehen.


Finanzmathematisch hat die Restwert - Phase bei dem in der Praxis üblichen Vorgehen ein deutlich höheres Gewicht als die Detailplanungsphase. Dies wird an einem einfachen Beispiel deutlich:




Risikofreie Rendite (30J.) 3,76%
Beta-Faktor 0,50



Marktrisikoprämie 4,50%



Kapitalisierungszinsfuß 6,01%





Jahr 1 2 3 4 5 6





ff. Restlaufzeit
Erwartete Zukunftserfolge 100 100 100 100 100 100





Barwert Detailplanungsphase 421,12



26,43%



Barwert Restwertphase 1172,32



73,57%



Unternehmenswert 1593,44


















Bei einer auf zwei Jahre verkürzten Detailplanungsphase steigt der prozentuale Anteil des Restwerts sogar von 73,57 % auf 88,40 % des Unternehmenswerts:










Risikofreie Rendite (30J.) 3,76%
Beta-Faktor 0,50



Marktrisikoprämie 4,50%



Kapitalisierungszinsfuß 6,01%





Jahr 1 2 3



ff. Restlaufz.

Erwartete Zukunftserfolge 100 100 100






Barwert Detailplanungsphase 183,31



11,60%



Barwert Restwertphase 1396,64



88,40%



Unternehmenswert 1579,96

























Die implizit angenommene Lebensdauer des bewerteten Unternehmens ist unrealistisch lang

Wegen des hohen Anteils, den der Barwert der Restwertphase am Unternehmenswert hat, ist der Ermittlung des Restwerts besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Die übliche Anwendung der Formel der ewigen Rente bedeutet nicht nur, dass von im Zeitablauf konstanten jährlichen Zukunftserfolgen und einem gleichbleibenden Kalkulationszinsfuß ausgegangen wird, sondern auch, dass implizit eine ewige Laufzeit des zu bewertenden Unternehmens angenommen wird.



















Wie lang diese "ewige" Lebensdauer des Unternehmens sein muss, um den nach der Formel der ewigen Rente ermittelten Restwert genau zu erreichen, lässt sich errechnen, indem man für das oben genannte Beispiel mit einer Detailplanungsphase von fünf Jahren die (diskrete) Barwertformel nach "n = Anzahl der Perioden" auflöst:

  • Bei einem Kapitalisierungszinsfuß von 6,01 % ist der Fehler zwischen ewiger Rente und der diskreten Ermittlung des Barwerts in der Restwertphase im Zeitpunkt t = 6 erst nach 172 Jahren Lebensdauer eliminiert (Fehler: 0,004 %).

  • Toleriert der Bewerter einen Fehler von rd. 5 %, beträgt die implizit angenommene Lebensdauer des bewerteten Unternehmens immer noch 51 Jahre (Fehler: 5,1 %).
Die implizit angenommene Lebensdauer wird umso kürzer, je höher der Kapitalisierungszinsfuß ist. Um mit der Lebensdauer des Unternehmens in einen realistischen Bereich von 30 Jahren zu gelangen, muss der Kapitalisierungszinsfuß aber rd. 40 % betragen (Fehler: 0,004 %). Bei einem tolerierten Fehler von 4,9 % liegt der Kapitalisierungszinsfuß bei 10,5 %. Der Kapitalisierungszinsfuß kann in seiner Höhe aber nicht willkürlich gewählt werden, sondern unterliegt einem ökonomisch sinnvollen Kalkül. In der funktionalen Unternehmensbewertung wird der Kapitalisierungszinsfuß im Basisprogramm ermittelt.

Ein Bewerter, der die Formel der ewigen Rente anwendet, vernachlässigt somit gezwungener Maßen ein "Abschmelzen" des Restwerts und infolgedessen des Unternehmenswerts, wenn zu erwarten ist, dass die Lebensdauer des Unternehmens eher  30 Jahre als 172 Jahre betragen wird:
  • Bei 30 Jahren Lebensdauer und einem Kapitalisierungszinsfuß von 6,01 % und fünfjähriger Detailplanungsphase  (gem. Beispiel) schmilzt der Barwert der Restwertphase um 17,4 % ab.
  • Bei 25 Jahren / 6,01 % schmilzt dieser Restwert um 23,2 %.
  • Bei 20 Jahren / 6,01 % ist der Restwert 31,1 % niedriger.
  • Bei 10 Jahren / 6,01 % beträgt die Abschmelzung 55,8 %.

Bei einer unkritischen Anwendung der Formel der "ewigen Rente" nimmt der Bewerter somit erhebliche Überbewertungen in Kauf.

Bei der Betrachtung der "Lebensdauer" eines Unternehmens ist auch zu beachten, dass zum Bewertungsstichtag im Grunde die relativen Wettbewerbsvorteile des Unternehmens bewertet werden. Erfahrungsgemäß fällt das Unternehmen jedoch innerhalb weniger Jahre aus diesem Geschäftsmodell heraus, wodurch die zum Bewertungsstichtag getroffenen Annahmen hinfällig werden.

Zur Überlebensfähigkeit von Unternehmen bzw. von Geschäftsmodellen

Empirische Untersuchungen des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM), Bonn, haben ergeben, dass Familienunternehmen - mehr als 90 % der in Deutschland tätigen Unternehmen fallen in diese Kategorie - eine Lebensdauer von durchschnittlich 24 Jahren haben.

Wichtiger als dieser empirische Befund ist aber die Frage nach den Ursachen des Scheiterns von Unternehmen und welche Schlussfolgerungen für die Einschätzung der Überlebensfähigkeit von Unternehmen daraus zu ziehen sind. Im diesem Zusammenhang interessiert auch die Güte von Modellen zur Analyse der Überlebensfähigkeit von Unternehmen. Diesen Themenkreis hat Ludger HINNERS - TOBRÄGEL in seiner 1998 vorgelegten Dissertation "Zur Analyse der Überlebensfähigkeit von Unternehmen" bearbeitet. Darin wird ein stochastisches Betriebsentwicklungsmodell entworfen. Mit Hilfe dieses Simulationsmodells werden Einflussfaktoren auf die Überlebenswahrscheinlichkeit untersucht, nämlich vorsichtige Wachstumsstrategien und verschiedene Faktorausstattungen. Entgegen der herrschenden Theorie konnte in den Simulationen beobachtet werden, dass bereits einfache Diversifikationen oder Risikoabschläge die Insolvenzhäufigkeit in bestimmten Situationen deutlich senken. Große Unternehmen erweisen sich auch bei expansiver Investitionspolitik als weniger gefährdet als kleine. Dieses Ergebnis wird unter konstanten terms of trade erzielt: schlechtere Austauschbeziehungen sind also keine Voraussetzung für eine empirisch häufig zu beobachtende größere Ruinrate kleiner Unternehmen.

Zur Beurteilung der Überlebensfähigkeit von Geschäftsmodellen kann die Forschung im Bereich des Konvergenzmanagements hilfreich sein, z.B.

  • Entwicklung von konvergenzorientierten Planungsinstrumenten zur strategischen Unternehmensführung und -steuerung.
  • Kausalanalytische Ermittlung der konvergenzorientierten Erfolgsfaktoren der Unternehmensführung und -steuerung.
  • Entwicklung konvergenzorientierter Geschäftsmodelle.
  • Entwicklung von Planungsinstrumenten für das Innovationsmanagement in konvergierenden Märkten.
  • Gestaltung einer effektiven und effizienten Organisation vor dem Hintergrund der Konvergenz.
  • Entwicklung von konvergenzinduzierten Produktionsfunktionen.
Lösungsansätze
Es ist klar, dass die impliziten Annahmen zur Anwendung der üblichen Berechnungsmethode für den Restwert eines Unternehmens in der Realität in der Regel nicht erfüllt werden.
Volker FRÜHLING schlägt in seiner Abhandlung "Unternehmensbewertung und ewige Rente" (Finanzbetrieb vom 14.04.2009, Heft 4, Seite 200-203) folgende Lösungen vor:
  • Die Erfassung der Abschmelzung könnte mathematisch über den Erwartungswert erfolgen: "Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unternehmen eine bestimmte Laufzeit erreicht?" Man kann hierzu den gesamten Markt betrachten oder Klassen von Unternehmen. Wenn man davon ausgehen möchte, dass z.B. der Erwartungswert für die Abschmelzung von kleineren oder jüngeren Unternehmen höher einzuschätzen ist als bei Unternehmen, die seit Jahren als am Markt etabliert gelten, so muss sich auch dieser Sachverhalt im Erwartungswert ausdrücken lassen. Hierzu sind u.E. umfangreiche empirische Untersuchungen erforderlich, um hinreichend robuste Erkenntnisse über eine plausible Verteilungskurve der durchschnittlichen Lebensdauer von Unternehmen zu gewinnen.
  • Eine Alternative könnte davon ausgehen, dass vergleichbar dem in der LIteratur diskutierten Wachstumsfaktor ein Abschmelzungsfaktor einbezogen wird.
  • Eine weitere Überlegung könnte davon ausgehen, dass die Abschmelzungsrate mit den Jahren sinkt. Wir wissen aus eigener Anschauung, dass nur ein relativ geringer Teil von kleinen Unternehmen die ersten 5 Jahre überlebt. Die nächsten Hürden im Leben eines Unternehmens sind dann u.a. strukturelle und finanzielle Erfordernisse, die überwunden werden müssen, um das wirtschaftliche Überleben des Unternehmens sicherstellen zu können.
  • Als beste Lösung ist die empirische Ermittlung einer Verteilung der durchschnittlichen Lebensdauer von Unternehmen in Abhängigkeit von ihrer Größe, gemessan am Umsatz. 





























































































































1 Kommentar:

  1. Die ewige Rente machmal auch für Immobilien benutzt (Tobin-q Modell). Ist plausibel wenn ein Gebäude ewig hält oder nach Abzug der umgelegten Reparaturkosten ewig hält.

    Stimmt das auch in Taiwan? Nein weil dort Gebäude nach ca 40 Jahren abgerissen werden müssen. Ist eine Bauvorschshrift wegen den ständigen Erdbebenerschütterungen. Auch die tägliche 3 auf der Richterskala lässt es bröckeln.

    Stimmt das in den USA? Nein. Die meisten Fertigbauhäuser sind nach ca 10 Jahren verwohnt oder die Reparaturkosten bereits so hoch daß Abreißen und Neubauen sich eher lohnt.

    Für viele Europäer ist unvorstellbar. Vielleicht es auch ein Wunsch daß alles für die Ewigkeit hält. Gebäude müssen ewig halten und Firmen dürfen einfach nicht sterben.

    AntwortenLöschen